Auszug aus der Einführungsrede der Ausstellung „Spielarten des Realismus”
Sa 04.06.2022 - Bad Saulgau
Von Andreas Ruess
Nicolas Schützinger, 1988 in Stuttgart geboren, besuchte von 2009–2012 die Freie Kunstschule Stuttgart und studierte anschließend bis 2018 an der Düsseldorfer Kunstakademie. Seit Kurzem lebt er in Berlin.
Schützinger widmet sich ohne jedes Pathos ganz lapidaren Szenen, wie wir sie alle kennen. Es sind vielfach Momente aus dem Leben seiner WG, wo wir jungen Menschen in den unterschiedlichsten Situationen begegnen: Wir sehen junge Frauen beim Ankleiden vor dem Spiegel, beim Aufhängen der Wäsche oder nach dem Duschen im Bad. Und immer wieder spielt dabei der Wäscheständer eine besondere Rolle, entweder als Teil dieser Szenen oder als eigenständiges Motiv. Dieses banale Utensil scheint es dem Künstler besonders angetan zu haben; vielleicht, weil der Wäscheständer wie auch die eigene Waschmaschine Ausdruck des Abschieds vom Elternhaus sind: Chiffren für Freiheit und Selbständigkeit.
Nico Schützinger gewährt uns einen intimen Einblick in das Lebensgefühl und den Alltag seiner Generation. Er zeigt uns junge Leute in ihren WG-Zimmern, mit Laptop, Playstation und Gitarre; mit Wein- und Bierflaschen im Eck oder aufgebretzelt bei der Party. Seine Bilder erzählen lauter kleine Geschichten, und man spürt, dass er ganz nah dran ist, dass er Teil dieser Welt ist. Was sie aber besonders auszeichnet, das ist der Umstand, dass Schützinger eben diesen ganz normalen Alltag und ganz banale Dinge – wie einen Wäscheständer - bildwürdig macht. Und damit vielleicht genau das, was uns Menschen ausmacht: Das Alltägliche, Banale, Unspektakuläre. Und das sogar im großen Format!
Schützingers unspektakulärer Alltagsrealismus mit seiner erdigen Tonigkeit und seinen ruhigen und zugleich spannungsvollen Kompositionen zeichnet sich durch eine besondere Anmut aus, die die Banalität des Motivs vergessen lässt. Gekonnt spielt er mit Hell-Dunkel-Kontrasten, etwa wenn er das Licht durch Vorhänge und Geschirrtuch scheinen lässt und diese zum transparenten Leuchten bringt. Oder wenn er die junge Mutter mit ihrem Kind ins Licht treten und den Rest des Bildes schemenhaft im warmen, braun-roten Fond aufgehen lässt. So gelingen ihm berührende, beseelte Gemälde von erstaunlicher Intensität und Innigkeit.
KÖLNER STADT-ANZEIGER
Sa/So 12./13.09.2020
Von Rebecca Lassmann
Die Poesie im Alltag finden
In der Christuskirche kann endlich wieder eine Ausstellung stattfinden
Es ist ein ungewöhnlicher Anblick: Gleich rechts neben dem Eingang in die Christuskirche hängt das übergroße Gemälde einer nackten Frau. Ein wenig lasziv liegt sie breitbeinig auf einer Matratze, nur eine Unterhose trägt sie noch. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst, eine Spur von Langeweile liegt darin. Ob es für ihn in Ordnung wäre, das Bild in seiner Kirche aufzuhängen, hatte der Künstler Nicolas Schützinger Pfarrer Christoph Engels gefragt. Er habe damit kein Problem, antwortete dieser. „Schließlich sind wir alle nackt auf die Welt gekommen", sagt Engels. „Und wir werden sie auch nackt wieder verlassen.”
Ikonen der Verletzlichkeit
Mit Schützingers Ausstellung „Menschen mit Würde, aber auch müde und/oder nackt” sind am 10. September endlich wieder Kunstwerke in die Kirche am Friedrich-Ebert-Platz eingezogen. Ein Jahr ist nun bereits seit der letzten Ausstellung vergangen, erzählt Pfarrer Engels. „Eigentlich finden jährlich drei Kunstausstellungen statt", sagt er weiter. Coronabedingt musste eine für das Frühjahr geplante Veranstaltung ausfallen. Der Titel von Schützingers Ausstellung - so sperrig er auch auf den ersten Blick scheinen mag - umreißt die Motive seiner Bilder bereits sehr genau. Jedes Bild zeigt meist nur eine Person, die meisten von ihnen sind nackt oder nur leicht bekleidet. Aus den Bildern spricht eine gewisse Einsamkeit, eine Müdigkeit, Zugleich jedoch eine meditative Ruhe. Schützingers Werke erinnern an die Melancholie Edward Hoppers. Anders als bei Hopper jedoch beschäftigen die Werke sich mit dem Interieur, kehren das Innenleben ihrer Protagonisten nach außen, lassen es sichtbar werden. „Ikonen der Verletzlichkeit” seien Schützingers Figuren für ihn, sagt Engels. „Wir Menschen tragen oft Masken - auch unabhängig von Corona", sagt er weiter, „wir lassen niemanden wirklich in unser Herz schauen.” Was sich hinter den Masken verberge, sei häufig eine Müdigkeit. „Wir leben in einer rasend schnellen Zeit", sagt Engels. Auf Schützingers Bildern scheint die Zeit eingefroren zu sein. „Sie zeigen, wie es ist”, sagt der Künstler, „lassen die Dinge einfach für sich stehen, in all ihrer alltäglichen Würde, ganz ohne Pathos.” So ist Schützinger stets auf der Suche nach dem Poetischen im Alltäglichen. Er findet es im Unscheinbaren, im Stillen. Die Nacktheit fügt sich ein in die Kirche, anstatt mit ihr zu brechen - einen Raum schließlich, der sich ebenfalls auf die Innenräume der menschlichen Seele konzentriert. - Die Ausstellung ist bis zum 15. November in der Christuskirche zu sehen. Um Anmeldung wird gebeten.
RHEINISCHE POST
Mi 05.09.2018
Von Klas Libuda
Blüten des Alltags
Der Künstler Nicolas Schützinger bildet in seinen Malereien Alltagsszenen ab. Im Kulturbahnhof Eller zeigt er nun eine Auswahl, die dort während der Sommermonate entstanden ist. Eine Entdeckung.
Gleich ganz große Nähe, Einverständnis, Man kommt durch die Tür und schaut diese Frau an. Sitzt da auf dem Holzklappstuhl mit Zigarette und Glas in den Händen. Linkes Bein über das rechte geschlagen. Sandalen -sicher Birkenstock-, die in diesem Sommer alle trugen, als es viel zu heiß war für die dicken weißen Turnschuhe von Reebok, die zuvor alle trugen. Die Frau jedenfalls: im Gespräch. Die Gesprächspartnerin - Kippe, Glas - sitzt auf dem Boden, Wahrscheinlich später gekommen, kein Stuhl mehr frei gewesen. Und als man Ihr anbot, Platz zu machen, gesagt, „Lass mal", und sich hingehockt und an die Wand gelehnt. Alles schon so oder so ähnlich erlebt. Blüten des Alltags. Nicolas Schützinger hat diese Szene festgehalten, Öl auf Leinwand, und zu sehen ist sie nun im Kulturbahnhof Eller, Schützinger, Jahrgang1988, ist Kunstakademie-Absolvent und Spezialist für richtige Momente. Schon beim Rundgang im Frühjahr, als er in den Räumen der Klasse Anzinger seine Bilder von Alltagsszenen zeigte, blieben die Leute, die sich damals durch die Kunstakademie schoben, vor seinen Arbeiten
ganz plötzlich stehen, Offenbar ging das viele an, irgendwie konnte man darin viel erkennen, wohl auch sich selbst. Schützingers Kunst steht in der Tradition der Genremalerel, der Künstler arbeitet sich an der Wirklichkelt ab. Seine Bilder sind Milieustudien, nebeneinander gehängt verdichten sie sich zur Reportage.Inspiriert sind sie durch das Leben in seiner Wohngemeinschaft. „Wine and Cigaretts" heißt die Arbeit, die in Eller gleich links vom Eingang hängt. Lotte heißt die Frau im Bild-Mittelpunkt, das weiß, wer dem Künstler auch bei Instagram folgt, dort lädt et ab und an seine Arbeiten hoch. Schützinger hat viele solcher Szenen festgehalten, und oftmals sind es Wohnsituationen: ein Mann in Schräglage auf der Matratze liegend, Jogginghose auf halb acht, ein mit Bettlaken behängter Wäschestander. Schützinger, der in Stuttgart und Düsseldorf studierte, hat ein geschultes Auge und versteht offensichtlich auch viel von Technik. Alles scheint an seinen Bildern zu stimmen, Farben, Schatten, Haltungen und wie sich im Hintergrund das
Gerümpel türmt. Nichts wirkt überzeichnet, eher reduziert. Beglaubigt werden diese Szenen durch Detallreichtum: das Glas Wein in Lottes Hand zum Beispiel, das kein Weinglas ist, sondern das billigste Glas überhaupt. „Pokal" von Ikea, 39 Cent das Stück. Auch der Kulturbahnhof Eller war von Nicolas Schützingers Malereien fasziniert und lud ihn ein, in seinen Räumen zu arbeiten. Eine Handvoll Bilder hat der Maler dort geschaffen und ausgestellt. „Die Anmut des Alltälichen” heißt die Abschlusspräsentation dieses Sommerateliers.
Muss man sich ansehen. Die Bilder erwachen dann zum Leben.
RECKLINGHÄUSER ZEITUNG
Mi 07.02.2018
von Tina Brambrink
Der Alltag und seine Zwischenräume
KRIM. Nicolas Schützinger malt das Leben, wie es ist: mit viel Tristesse und viel Schönheit, Licht und Schatten, Chaos und Ordnung. 16 seiner atmosphärischen Zwischenräume zeigt er beim Kunstverein im Kutscherhaus.
Der junge Mann aus Stuttgart musste Ordentlich Gas geben, zwei Ausstellungen wollten parallel bestückt werden. Während seine Milieustudien in Düsseldorf auf großen Leinwänden zum Leben erwachen, konzentriert Nicolas Schützinger, Jahrgang 1988, den Blick in Recklinghausen aufs kleine Format.
Auch aus der Not heraus. Denn nach dem Studienabschluss an der Kunstakademie Düsseldorf hat es den Künstler zurück in die Heimat nach Stuttgart gezogen. Und bis ein bezahlbares Atelier gefunden ist, wird im kleinen WG-Zimmer gemalt. Der Rundgang im Kutscherhaus beginnt mit einigen Zeichnungen: ein Selbstporträt mit Zigarette (fur mich die intimsten Bilder), daneben ganz kümmerliche Studentenblumen, denen man spontan mit der Gießkanne zu Leibe rücken möchte, Besteck beim Trocknen und ein Klettergerüst auf einem Spielplatz; ohne Kinder wirkt der Ort der ausgelassenen Freude seltsam trist und verlassen.
„Mich interessiert der Raum Zwischen Gut und Böse, Positiv und Negativ”, erklärt Nicolas Schützinger. Bevorzugt malt er seine Interieurs, Stillleben und Genre-Szenen zwischen Tradition und Avantgarde Öl auf Leinwand. Wie „Maya”, das Aktmodel, das gerade noch im Fokus stand und plötzlich schon im Moment des Ankleidens wieder ein Niemand ist. Eine Szene, die jeder, kennt, zeigt „Jonas im Bad” beim Zähneputzen. Die Intimität der Morgentoilette bleibt neben fast leuchtend bunten Handtüchern im Dunkeln „Ich mag die schmutzige Ehrlichkeit solcher Szenen”, sagt der Maler, der in Stuttgart und Düsseldorf studierte und sein Handwerk bei Andrej Dugin, Olga Dugina und Siegfried Anzinger lernte. Wichtig ist ihm immer die Anmut des Alltäglichen. Auch die Frau beim Duschen strahlt in Ihrer Nacktheit eine Würde aus. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist der Wäscheständer. „Mich faszinieren das extrem alte Design und die starke Kraft, die von solchen Alltagsdingen, die der Zeit ein Schnippchen schlagen, ausgehen." Fasziniert ist Nicolas Schützinger auch von großen Meistern wie Rembrandt oder Vermeer. Viele seiner Bilder, wie das Selbstporträt, das in der oberen Kutschethaus-Etage hängt, versteht er als Hommage an seine Vorbilder.
Rembrandts Selbstporträts etwa sind fur ihn wie „kleine Wunder”. „Diese Traurigkeit hat eine Tiefe, die so wunderbar ehrlich ist." Ein genialer Zeichner des Verfalls und der Verwesung sei Horst Janssen. Wie eine Gegenreaktion auf die Dunkelheit in den übrigen Bildern wirkt “Die Vase”. Nicolas Schützinger hat den Gebrauchsgegenstand leuchtend gelb auf einem Altar der Weiblichkeit drapiert, mit roten Tüchern und floralen Mustern. Sehenswert!